Die
häufigsten Klettersteige machte ich mit den Jugendlichen im Rahmen
von Sommerfreizeiten in den Dolomiten. Die erste Tour war meistens
der Pisciadu-Klettersteig vom Grödner Joch aus. Schon die Anfahrt
in das Sellagebiet setzte alle Jugendliche in Erstaunen. Zum ersten
Mal sahen viele Jugendliche solche gewaltige Berge, abfallende
steile Wände und Schluchten. Früher war das Zelten auf dem Sellapaß
noch erlaubt, doch durch den enormen Zuwachs der Touristen, stehen
heute überall Verbotsschilder. Wir fuhren dann immer auf den
Campingplatz von Canazei. (Unverschämt teuer) Ich selbst beging den
oben genannten Klettersteig mitverschiedenen Jugendlichen ungefähr
20-30 mal. Daher kannte ich auch sehr genau die Schwierigkeiten und
Gefahrenmomente, was gerade Jugendliche, die zum ersten Mal im
Gebirge sind, sehr wichtig war. Diesmal waren auf der Tour 7
Jugendliche und ein Praktikant (Amadeus) dabei. 4 Buben, 3 Mädchen.
Pisciadu
Der
Pisciadusteig leitet durch eine der wildesten und romantischsten
Falten der Nordflanke, rechts neben einem Wasserfall, bis auf einen
Schuttbalkon hinauf, der den ganzen Sellastock umschließt. Oben
befindet sich dann der herrliche Pisciadusee mit einer
romantischen kleinen Hütte. Bis zum Abfluss des Wasserfalles ist
die Führe- die mit ca. 500 mtr. fixen Stahlseilen und ungefähr 130
Eisenklammern ausgestattet wurde- teilweise sehr ausgesetzt und
luftig, aber immer gut gesichert, griffig und aufregend schön. Eine
ausgesetzte Linksquerung leitet den sehr exponierten Schlussanstieg
ein. Es geht dann noch über eine senkrechte Leiter hinauf und
luftig weiter, bis unter einen auffallenden Turm. Die letzte Überraschung
auf dieser Klettersteigtour ist eine kühn angelegte Pendelbrücke,
die einen tiefen Felsspalt überbrückt und zur oberen Schutterasse
führt. Nach 20 Min. Gehzeit ist dann gleich die Hütte erreicht. Für
die Jugendlichen war diese erste Klettertour im Hochgebirge, die
erste Mutprobe, die erste Eroberung im Gebirge. Ich sah, wie ihnen
auf der Pendelbrücke die Knie zitterten und wie sie versuchten,
krampfhaft sich an die große Tiefe zu gewöhnen. Ich glaube alle
waren überglücklich und erleichtert, die erste Bewährungsprobe
mit Erfolg bestanden zu haben. Aber auch ich war froh, wenn
ich in die zufriedenen Gesichter der Jugendlichen sehen konnten.
Nach einem ausgiebigen und nassen (wenig) Aufenthalt in der Hütte,
folgte der lustige Abstieg durch das Tal von Setus. Oft konnten wir
noch auf großen Schneefelder fast bis ins Tal auf Plastiktüten
oder Eispickeln bis ins Tal abrutschen, was immer mit einer
Riesengaudi verbunden war. Abends dann am Lagerfeuer vor dem Zelt
wurde noch viel über die ersten Tourenerlebnissen gesprochen. Es
war super.......Auf dem weiteren Freizeitprogramm stand auch eine
Tour auf den Piz Selva (2941 m) im Sella. Diese Tour geht über den
gesicherten
Pösnecker
Der
Pösnecker Klettersteig ist der älteste gesicherte Felsenweg in den
Dolomiten. Er wurde auf dem heutigen Anstieg 1907 von dem Bozener
Paul May erstmals begangen. Ohne
Sicherungen weist er einen
Schwierigkeitsgrad von V- auf.
Ein paar Jahre später wurde diese Route von der Sektion Pösneck
des DAV unter dem Namen „Pösnecker-Klettersteig" mit
Klammern und Drahtseilen entschärft. Für die Begehung ist absolute
Schwindelfreiheit und eine gute Kondition erforderlich. Diese Tour
ist viel anspruchsvoller als der Pisciadu Steig. Die Tour verlangt
alles ab, da sie sehr exponiert und auch sehr lang ist. Diesen
Klettersteig habe ich mit Kindern und Jugendlichen fast aller
Altersklassen schon ca. 20 mal gemacht. Auch hier war es natürlich
von Vorteil, daß auf dieser Tour die nötige Erfahrung hatte und
den Routenverlauf genau kannte. Die Begehung des Pösnecker setzt
trotz aller Steighilfen große alpine Erfahrung, Sicherheit im Fels
und absolute Immunität gegen Tiefblicke voraus.Ungeübte und
Felsneulinge wurden von mir immer an ein kurzes Sicherungsseil
genommen. Sie konnten dann ohne Unbehagen und Angstgefühle das
Erlebnis des Höhersteigens im Dolomitenfels genießen.
Die Tour dauert im Auf-und Abstieg etwa 7-8 Std. Sie beinhaltet
fast die ganze Sellastockdurchquerung. Trotz dieser anstrengenden
und kräftezehrenden Tour waren auch hier die Jugendlichen
begeistert. Vor allem von den gewaltigen Eindrücke der eigenartigen
Felsformationen im Sellastock. Gerade diese schwere und sehr lange
Klettersteig verlangte den Jugendlichen alles ab. Langsam haben sich
die Kinder und Jugendliche an das Hochgebirge gewöhnt. An die Schönheiten,
aber auch an die Gefahren und den unterschiedlichsten Naturgewalten.
Sie konnten nun damit umgehen und sich auf diese neue Umgebung sehr
gut einstellen. Einstellen auf die Temperaturunterschiede, die
Schwierigkeiten, die Entbehrungen, die Strapazen, die Angstgefühle,
auf die Menschen, aber auch auf die Schönheiten und auf den
Zusammenhalt einer gewordenen Gemeinschaft.
Tomaselli
Ein
herausragender Höhepunkt unserer Kletterfreizeit war natürlich
eine Tour über den berühmten Tomaselli-Klettersteig. Diese
Via-Ferrata (italienisch-Felsenweg) Tomaselli gilt nach wie vor als
eine der anspruchsvollsten sowie kühnsten Kletteranlagen überhaupt
im gesamten Alpenraum. Er kann nur von Jugendlichen bewältigt
werden, die im Klettern den Schwierigkeitsgrad III-IV sehr gut
beherrschen. Dazu kommt natürlich noch Kondition und absolute
Schwindelfreiheit. Diesen Klettersteig machte ich mit 4 erfahrenen
Jugendlichen. Ich selbst habe den Steig 5 mal gemacht. Er fasziniert
mich immer wieder. Die Felsen um den Via Tomaselli waren im ersten
Weltkrieg Brennpunkt härtester Auseinandersetzungen zwischen
Kaiserjägern und den Alpinsoldaten. Heute noch sieht man
eingefallene Stellungen,die Spuren dieser Kämpfe: Stacheldraht,
Sprengtrichter, Stollenlöcher und Felstunnel, die wie erloschene
Augen hoch oben aus den Felswänden starren. Wir fanden noch
Munition von Gewehren und Pistolen. Die Kletterroute selbst blieb
weitgehend naturbelassen, ohne künstliche Leitern, Klammern und
Tritte, nur mit einem dünnen Führungsseil ausgestattet- daß über
fingerbreite Leisten, kleingriffige Wände und senkrechte Kanten auf
den fast 3000 m hohen Gipfel weist. Der eigentliche Anstieg führt
neben alten Kriegsstellungen sehr steil empor. Es folgt dann eine äußerst
luftige Querung bis hinauf zu einer Schrofenzone. Nun weiter, fast
immer senkrecht und sehr anstrengend auf einen Geröllplatz. Von
hier aus über die extrem luftige und steile Schlusswand zum Gipfel.
Für die Jugendliche war es bestimmt eine der schwierigsten Touren
in den Dolomiten. Natürlich waren sie nach der Besteigung ziemlich
fertig aber stolz und glücklich, dass sie so eine anstrengende und
schwere Tour geschafft haben. Tagelang erzählten die Jugendliche
noch von den Eindrücken und Schwierigkeiten und von dem gemeinsamen
gelingen dieser Tour.
Menschen
und Gefahren
Bei
diesen gemeinsamen Kletter-und Bergtouren in den Dolomiten konnten
wir auch viele Menschen erleben - Menschen und Schicksale, an die
wir mit Sicherheit noch lange denken werden. Ich konnte mit den
Jugendlichen erleben, wie sich Bergunerfahrene in Kletterrouten
wagten und dabei ihr eigene Leistungsfähigkeit überschätzten.
Sie brachten dabei sich, wie auch andere Kletterer in äußerste
Gefahr und Notlagen.Daheim bei unseren Theorieabenden erfahren die
Jugendlichen aus Lehrbücher, oder auch von mir selbst, wie man
Schwierigkeiten und Gefahren im Gebirge entgegentreten kann. Doch
hier konnten sie nun selbst erleben, wie unglaublicher Leichtsinn
und Selbstüberschätzung im Gebirge zu einer Katastrophe führen
kann....
..
Es
war bei einer Freizeit im Sommer 1984.
Ich machte mit 6 Jugendlichen den schon erwähnten Pisciadu-Steig. Für
alle Teilnehmer war es wieder mal die erste Begegnung mit dem
Alpenraum und dem Hochgebirge. Trotz mehrmaliger Kontrolle der
Selbstsicherungen kamen wir gut und zügig voran. Das Wetter war
herrlich. Alles passte an diesem Tage richtig zusammen - die gute
Laune, die Kameradschaft und eine schöne Umgebung inmitten der
Felsenlandschaft.
Überschätzung
Bald
waren wir am letzten Steilstück, als plötzlich ein rauschen über
unseren Köpfen war. Ich konnte gerade noch die Gruppe warnen. In
diesem Augenblick sausten und flogen faustgroße Steine an uns
vorbei. Peter wurde von einem Stein getroffen, hatte aber großes Glück,
denn sein Steinschlaghelm bewahrte ihn vor größerem Schaden. Er
hatte eine große Schürfwunde, die wir ohne große Problemen gut
versorgen konnten. Wir erholten uns schnell von dem Schrecken und
kletterten weiter. Vor mir sah ich schon die große Eisenleiter, die
uns zu einem Quergang führte. Unterhalb der Querung sahen wir eine
Frau in einer kleinen Höhle kauern. Sie heulte. Daneben stand ihr
fluchender und schimpfender Begleiter. Ich erkundigte mich zögernd
bei den Beiden, was denn passiert ist.Die Frau gab mir zu verstehen,
dass sie von der Route abgekommen sind und jetzt nicht mehr weiter
wissen. Sie dachten, es wäre eine leichte Tour, die jeder machen könnte.
Außerdem meinte der Mann, er habe schon mal geklettert, sich aber
wahrscheinlich zuviel zugetraut. Beide saßen nun in diesem
Quergang. Vor ihnen ca. 400 m senkrecht abfallender Fels. Die Frau
hatte nur leichte Turnschuhe an. Sie hatten weder Seil noch
Karabiner dabei.Zum Glück hatte ich noch ein zweites Seil dabei und
einige Reepschnüre sowie Karabiner
.
Hilfe
im Hochgebirge
Ich
musste den Beiden erst zeigen, wie man sich an Klettersteigen
anseilt und selbst sichern kann. Sie hatten keine Ahnung. Eigentlich
hätte ich Beide uns Tal bringen müssen, doch ich hatte für meine
eigene Gruppe die Verantwortung. Ich durfte diese auf keinen Fall
alleine lassen. Wir machten mit den Leuten aus, wenn sie im Tal
angekommen sind, das geliehene Kletterzeug unter unseren Bus zu
legen. Wir wünschten nun den Beiden einen guten Abstieg und hofften
natürlich, dass diese ohne weitere Schwierigkeiten im Tal ankommen.
Uns war es nicht wohl. Es kamen schon erhebliche Zweifel auf, doch
mehr konnten wir einfach nicht tun.Anhand dieser Geschichte, wie die
Jugendlichen ja selbst erlebt haben, konnte ich ihnen erneut klar
machen, wie gefährlich eine Selbstüberschätzung im Gebirge sein
kann. Beide „Kletterer“ hatten sich natürlich total übernommen
und vor lauter Unsicherheit und Angst, sind die Beiden dann von der
eigentlichen Route abgekommen. Vor allem können solche Leute durch
ihre eigene Unsicherheit andere Menschen bzw. Kletterer in große
Gefahr bringen. An dem Steinschlag haben wir es selbst erfahren. Nur
durch Instinkt und schneller Reaktion konnte ein noch größeres
Unglück verhindert werden. Als wir dann am Abend wieder ins Tal
abgestiegen sind, fanden wir das Seil unter unserem Auto. Dabei lag
ein Zettel mit folgenden Zeilen: „Vielen Dank für Euere Rettung
und Hilfsbereitschaft, anbei DM 100.- für einen vergnüglichen
Abend. Eure dankbaren Wanderer“ Wir hatten natürlich einen vergnüglichen
Abend und uns noch sehr viel zu erzählen
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