Ein
besonderes Erlebnis war für mich die Kletter- und Bergfreizeit 1985
in der Sella/Dolomiten mit einer Gruppe Jugendlicher vom Ev.
Kinderheim Augsburg.
Seit
1983 bin ich in diesem Kinderheim als Erzieher in einer Jugendwohnung
beschäftigt. Jugendliche im Alter von 15-18 Jahren. Mit diesen
Jugendlichen baute ich eine Klettergruppe auf. Jedes Jahr fahren wir
dann im Sommer in die Dolomiten zum Klettern- und Bergsteigen.
Klettertechnik, Kondition holten wir uns, wie schon am Anfang erwähnt,
in den Klettergärten, Heidenheim, Geislingen usw. Im Buch habe ich
auch schon erwähnt, dass alle Menschen gleich sind. So wurden auch
die Jugendliche behandelt. Ernst genommen - Zutrauen und Vertrauen -Es
tat ihnen gut. Gut für ihre Weiterentwicklung, denn noch oft genug
gelten in der Gesellschaft die Heimkinder als „Zurückgeblieben oder
Kriminelle“ - sie wurden fast immer anders behandelt. Gerade bei
Freizeiten, bei Touren wurden gegenseitig viele Vorurteile abgebaut.
Die Sommerfreizeit möchte ich daher besonders erwähnen.Was ich drei
Jahre versucht habe aufzubauen, hat sich gelohnt. Es war eine tolle
Freizeit. Geprägt von Kameradschaft und Toleranz.
Aufsatz
von Anette
Gletschertour
Marmolada 3344 m / Dolomiten Sommerfreizeit 1985
Mit dabei waren: Jochen, Lehrling 16 Jahre
Gerhard, Lehrling 17 Jahre
Alfred, Schüler 15 Jahre
Anette,
Schüler 17 Jahre
Angelika, Schüler, 17 Jahre
und : Wolfgang
unser Erzieher
Im
Sommer 85 machten wir eine Bergfreizeit in den Dolomiten um vor allem
die Marmolada zu besteigen. Dieser Berg ist 3344 m hoch und der höchste
Gipfel der Dolomiten. Unser Zeltplatz war am Sellapass, 20 km von
Canazei weg. Gegenüber die Hütte Pian Schiavaneis, die Roberto gehörte.
Einen Tag vor dem Aufstieg zur Marmolada wurden die Klettersachen von
Wolfgang unserem Erzieher nochmals genau kontrolliert. Wir freuten uns
alle sehr auf diese Gletschertour. Letztes Jahr war ich auch schon
dabei. Wir konnten damals die Tour wegen schlechtem Wetter nicht
machen. Diese Jahr musste es einfach klappen. Für alle war es die
erste Tour über einen richtigen Gletscher mit Spalten. Wolfgang erzählte
uns viel davon und zeigte uns Bilder von früheren Begehungen mit
Jugendlichen. Es war eine tolle Kameradschaft und Atmosphäre zwischen
den einzelnen Teilnehmern. Als Wolfgang die Kletterausrüstung
kontrolliert hatte, wurde alles sortiert und die einzelnen Rucksäcke
verstaut. Danach machten Angelika und ich das Abendessen.
Danach gingen wir noch zu Roberto in die Hütte, wo wir noch etwas
tranken und uns über die morgige Tour unterhielten. Wolfgang spielte
noch Gitarre und sang dazu. Es wurde noch ein gemütlicher Abend, denn
österreichische Kletterer kamen noch zu uns und sangen viele lustige
Lieder. Am nächsten Tag brachen wir gegen 14 Uhr auf. Zuerst mit
unserem Bus nach Alba auf den Parkplatz. Von dort aus
marschierten wir mit unserem vielen Gepäck zur Contrin Hütte. Das
Wetter war prima, die Sonne schien und wir waren alle guter Laune. Das
letzte Stück zur Hütte war ziemlich steil. Durchgeschwitzt kamen wir
nach 2 Std. auf der herrlich gelegenen Hütte an. Wir schauten uns
noch die Gegend rund um die Hütte an, vor allem eine kleine Kapelle,
die mitten auf einem Felsabsatz stand. Bevor wir dann um 22 Uhr ins
Bett gingen, saßen wir noch ein bissel zusammen. Um 5 Uhr
morgens hieß es dann raus aus den Federn. Wir alle waren gut drauf,
außer Wolfgang. Er hatte arge Kopfschmerzen ( ein Bier zuviel ) und
meinte aber: “Ein Indianer kennt keinen Schmerz“
Der Weg bis zum Einstieg der Marmolada war sehr mühsam und
anstrengend. Es ging fast nur über Schotter und unwegsames Gelände.
Wolfgang hat dabei 3 Hemden verschwitzt. Dann endlich nach 2 ½ Std.
waren wir am Einstieg in der Marmoladascharte, von hier führt ein
Klettersteig über den Westgrat zum Gipfel. Wir holten nun unsere Ausrüstung
aus dem Rucksack, legten den Klettergurt an, knüpften Reepschnüre in
den Gurt, setzten unseren Steinschlaghelm auf - und los ging die
Kletterei. Wolfgang nahm Alfred, Gerhard und Angelika an das Seil, da
sie noch nicht viel Erfahrung hatten und ein bisschen Beklemmung.
Jochen ging als Erster, gefolgt von mir. Danach kam Wolfgang mit den
Anderen. Der Kletterei war sehr schön, steil und luftig. Man musste
unbedingt schwindelfrei sein. Die Fernsicht war einmalig. Wir waren
super drauf, es machte sehr viel Spaß. Nach dem Klettersteig mussten
wir uns das letzte Stück anseilen und mit Pickeln und Steigeisen ein
steiles Firnfeld queren und waren dann endlich auf dem Gipfel - auf
der
Marmolada
- Erschöpft aber unheimlich glücklich. Wir freuten uns riesig, auf
einem so hohen Gipfel zu sein. Am gewaltigen Gipfelkreuz beglückwünschte
uns Wolfgang für die tolle Leistung. Wir machten eine Stunde Pause
und konnten uns kaum satt sehen an der grandiosen Fernsicht. Jetzt kam
aber bald der Höhepunkt der Tour. Der weite Gletscherabstieg über
Spalten und steile Eisflanken.
Wir
machten uns nun an den Abstieg. Steigeisen wurden wieder angelegt, das
Seil eingeknüpft und los ging
es. Zuerst ging es einen Firngrat entlang, der war sehr steil und
luftig. Wolfgang musste uns sichern. Nach dieser steilen Flanke mußten
wir noch über Felsen klettern, bis wir dann auf dem riesigen
Marmoladagletscher standen. Vorsichtig ging es sichernd über
viele Spalten. Wir hatten schon etwa Angst, aber Wolfgang munterte uns
immer wieder auf. Oft blieben wir stehen, um manche große und tiefe
Spalten zu betrachten. Es war faszinierend mitten in so einer
Gletscherlandschaft. An einer besonders großen und sehr tiefen Spalte
zeigte uns Wolfgang wie eine Gletscherbergung gemacht wird. Bald
hatten wir die Spalten hinter uns, der Schnee wurde immer weicher von
der Sonneneinstrahlung. Die Kameradschaft zwischen uns und Wolfgang
war toll. Jeder half Jedem, wo es nur irgendwie nötig war. Bald waren
wir am Lift. Die Tour war zu Ende. Fast 11 Std. waren wir
unterwegs. Wir waren total geschafft aber unheimlich stolz und glücklich.
Wir sind dann mit der Gondel zum Fedajasee hinunter geschwebt. Vom Tal
aus konnten wir nochmals die Marmolada mit dem gewaltigen Gletscher
betrachten. Wolfgang und Angelika sind dann per Autostop nach Alba
getrampt um den Bus hierher zubringen. Danach gab es ein großes
Pizzaessen. Später wurde noch recht ausgiebig gefeiert bei Roberto in
Pian Schiavaneis. Wir erzählten uns noch lange von der Gletschertour.
Zufrieden aber todmüde fielen wir dann in unsere Betten auf dem
Zeltplatz....
25.8.85
Anette
Danach
Oft
saßen wir nach „unseren gemeinsamen“ Touren noch lange zusammen.
Dieses Nacherleben jeder Tour:
- nach Klettertouren
- nach Gletschertouren
- nach Zeltlagern
- oder nach einem ganzen Klettersommer -
gerade das Nacherleben - das geprägt sein - Das ist es, was mich
immer wieder auf`s Neue anspornt.
Bei vielen Kindern oder Jugendlichen setzt nach Bergtouren, nach
einem Erleben, meist eine tiefe Wirkung ein. Oft eine emotionale auch
eine soziale Wandlung. Die Jugendliche haben Veränderungen bei sich
festgestellt bzw. wahrgenommen. Ich kann es vielleicht an Hand von
Aussagen der Jugendlichen versuchen zu erklären. Gerade junge
Menschen müssen ihr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein erst
festigen. Wie weit dies schon vorhanden ist, kann man nicht sofort
erkennen, denn jeder versucht seine Schwächen zu vertuschen und
spielt dem Anderen oft etwas vor. Gerade beim Klettern ist so ein
Versteckspielen nicht möglich, man kann nicht bluffen. Dadurch aber,
daß man, wenn auch nur zwangsweise, seine Maske fallen lässt, kommt
es oft zu einer echten Beziehung. Man spürt, daß man
aufeinander angewiesen ist und sieht plötzlich den Mitmenschen mit
ganz anderen Augen. Viele Jugendliche haben gerade nach Touren
zum ersten mal begriffen was es heißt, in schwierigen Situationen
einen Partner zu haben.
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