Nach solchen vielen Fragen nach Erziehung und den Möglichkeiten
stellt sich natürlich die Frage:
Was ist der eigentliche Erlebniswert des Kletterns ?
Was sind die spezifischen Lernmöglichkeiten ?
Für die Entwicklung braucht der Jugendliche eigene Erfahrungen und eigene Vergleichsmöglichkeiten.
Er braucht einen Spielraum -Der Alltag bietet dazu wenig Möglichkeiten. Das Klettern und Bergsteigen,
das kennen lernen der Natur, das aufeinander angewiesen zu sein- kann dabei stützend zur Erziehung Heranwachsender helfen.
Klettern ist eine emotionale Herausforderung. Die primäre Erfahrung
besteht in einer großen Befriedigung, einfach einer großen Freude
Die eigene Angst wird dabei überwunden und das Selbstwertgefühl enorm gesteigert. Das Klettern bedeutet eine Herausforderung an die eigene Ehrlichkeit.
Für den Kletterer bzw. für den Jugendlichen gibt es eine Grenze,
moralischer und physischer Leistungsfähigkeit, über welche er sich
zumindest sich selbst gegenüber, nicht hinausmogeln kann.
Auf Grund von gemeinsamen Erlebnissen und Erfahrungen habe ich Aussagen gesammelt. Aussagen von Kindern und Jugendlichen, mit denen ich alles geteilt habe - als Erzieher - teilen mußte :
-Freude, Versagung, Überwindung, Mut, Fröhlichkeit,-Gleichgültigkeit, Traurigkeit, Kameradschaft,-Aggressionen und Feindschaft, Disziplin, Vertrauen,- Gemeinschaft, Gefahren......
Aussagen
Ich habe an viele Kinder und Jugendliche Fragebögen ausgeteilt. Vor allem, um mir selbst im Klaren zu sein, wie gefällt es den Jugendlichen beim Klettern ? Was kann ich ihnen noch weiter vermitteln ? Wie kann ich helfen ?
Erzieher oder Kletterspezi ?
Die Fragebögen habe ich viele Jahre gesammelt, immer wieder neue gestellt.
Um alle Antworten hier
wiederzugeben, bräuchte ich sicher mehr als nur ein Buch.
Ich habe von 3 Kindern und 5 Jugendlichen Aussagen, die ich hier aufzeigen will.
Befragt wurden:
Evi, 8 Jahre, seit 3 Jahren im Heim
Peter, 9 Jahre, seit 5 Jahren im Heim
Kurt, 12 Jahre, seit 5 Jahren im Heim
Jochen, 16 Jahre, seit 7 Jahren im Heim
Gerhard, 17 Jahre, seit 7 Jahren im Heim
Alfred, 18 Jahre, seit 10 Jahren im Heim
Angelika, 18 Jahre, seit 8 Jahren im Heim
Erwin, 17 Jahre, seit 11 Jahren im Heim
Aussagen
Es sind Aussagen von Kindern und Jugendlichen,
ich glaube- ehrliche Aussagen. Ich habe die Jugendliche selbst erlebt. Als Heimerzieher ist das Bergsteigen mit Kindern und Jugendlichen mit einem viel größeren Risiko verbunden, als bei normalen Jugendlichen- Jugendliche die außerhalb von einer Einrichtung leben.
Mit außerhalb meine ich- in einer Familie, einem echten Zuhause.
Es ist eine große Verantwortung da- eine sehr große Aufsichtspflicht, den Ämtern- und wenn etwas passiert, auch plötzlich den Eltern gegenüber. Wie oft wurde ich gefragt, ob man mit solchen verhaltensauffälligen Jugendlichen überhaupt etwas unternehmen kann ? Sogar Klettern ? Hast du keine Angst ? Wenn etwas passiert ? Wer ist dann schuld ? Die Fragen sind natürlich berechtigt. Oder ?Ich selbst habe mir solche Fragen auch oft gestellt,
gerade am Anfang in der Heimerziehung. Vor allem, als ich mit dem Gedanken spielte -mit Kindern und Jugendlichen aus Heimen zu klettern. Wer fragt denn die Jugendlichen ?
Wenn alles normal verläuft ? Gerade, wenn etwas von der Norm abkommt, dann kommen immer wieder die Fragen -
Warum ?
Was ist denn bei diesen Kindern und Jugendlichen normal verlaufen ?
Die Kindheit ? Das Elternhaus ? Ich versuchte einfach diesen, für viele nicht normale Weg zu gehen. Natürlich kommen immer wieder Gedanken auf - die Verantwortung -die besondere Aufsichtspflicht. Was muß ich alles beachten ?- Rückfragen bei Jugendämtern, beim Vormund, beim Gericht, bei den Eltern ( Auf einmal ! ) Überall Erlaubnisse und Genehmigungen einholen -
es könnte ja etwas passieren !
Es wurden von mir folgende Fragen gestellt:
1. Warum mache ich beim Klettern mit ?
2. Wie erlebe ich dabei meinen Erzieher ?
3. Wie war der erste Tag beim Klettern ?
4. Was bedeutet mir die Gruppe ?
5. Was war das größte Erlebnis ?
6. Was lerne ich ?
7. Was ist das Ziel ? Was willst erreichen ?
8. Wie fühle ich mich in den Bergen ?
9. Hast du ein Vorbild ?
Ein Auszug von einer Antwort (Anette 16 Jahre)
1. Spaß und eine große Herausforderung
2. Immer geduldig, freundlich, strahlt Sicherheit aus, super Freund,
3. große Angst beim erste mal Abseilen
4. Jeder ist für den Anderen da-Gemeinsamkeit-Kameradschaft-Vertrauen
5. Marmolada meine erste Gletschertour,Albano-Klettersteig,Freizeit Dolomiten
6. Klettertechnik, Selbstvertrauen, Verantwortung haben
7. Selbständiger werden, Einen hohen Schwierigkeitsgrad schaffen
8. Frei sein, ohne Eile, abschalten, Probleme vergessen
9. Nein eigentlich nicht, Wolfgang mit seiner Art und seinem Können
Nach den Aussagen
Ich hätte noch viel mehr Aussagen sammeln können. Interessant erscheint,
dass diese Aussagen und Gespräche fast alle auf der selben Ebene basieren. Das heißt, den Kindern und Jugendlichen wurde durch das Klettern und Bergsteigen überwiegend positive Eindrücke und Erlebnisse vermittelt. Bei Gruppen-und Theorieabende konnte ich immer wieder die Begeisterung feststellen. Sicherlich gab es auch oft Enttäuschungen, für mich selbst, wie auch für den Jugendlichen.
Negatives Erlebnis
Ich hatte auf einer Wochenendfreizeit eine fast neue Gruppe zusammen.
Wir fuhren für 3 Tage in das Zillertal auf die Rastkogelhütte. Ich kannte die Hütteneltern schon über 12 Jahren. Diese wussten natürlich einiges über
die so genannten Heimkindern und deren Problemen. Die Hütteneltern versorgten uns immer sehr rührend.
Abends beim gemütlichen Zusammensein bemerkten wir, dass Rolf fehlte. Wir suchten die ganze Hütte und auch die umliegende Umgebung ab. Ich war verantwortlich für die Gruppe und machte mir natürlich ernsthafte Sorgen. Ich bekam Angst. Wir mussten die Bergwacht
alarmieren-wir waren im Hochgebirge. Mit einem
Hubschrauber und einem Suchtrupp wurden nun alles systematisch
durchgekämmt- Vergebens - Rolf wurde nicht gefunden - Was sollte ich tun ?
Ich verständigte meinen Heimleiter in Deutschland. Er machte mir keine Vorwürfe. Wir mussten abwarten,
was mit Rolf geschehen ist. Das Warten-Hoffen-Bangen........es ist brutal. Am Sonntag fuhren wir wieder heim, ohne zu wissen, was mit Rolf geschehen ist.
Die Stimmung war natürlich sehr bedrückend. Was habe ich falsch gemacht ? Ist er
abgehauen ? Aufsichtspflichtverletzung ? Am Dienstag kamen Leute vom Jugendamt und brachten den Ausreißer wieder ins Heim zurück. Rolf kam auf eine geschlossene Gruppe. Er gab an, daß er in das Ausland wollte- und die Freizeit auf die Hütte nur als Vorwand mitgemacht hat.
Ja, auch negative Erlebnisse und Enttäuschungen sammeln sich im Laufe der Jahre an.
Rückschläge ?
In der Erziehung gibt es immer wieder Rückschläge,
doch können solche Situationen wie bei Rolf- gerade bei Bergtouren- zu einer großen Katastrophe führen. Auch nach solchen Erlebnissen gab ich nicht auf. Ich versuchte weiterhin, die Jugendlichen für die Berge, für das Klettern zu motivieren. Natürlich kam oft Verzweiflung auf - Stress dazu und sehr viel
Zeitaufwand. Doch gerade durch positive Erlebnisse und Erfahrungen wurde ich immer wieder
angetrieben. Gerade Kollegen aus dem Team müssen auch viel Zeit opfern, wenn ich Gruppenstunde habe, oder beim Klettern bin. Die Klettergruppe wurde übergreifend für das gesamte Heim angeboten.
Heimeinweisung
Wenn alles im Umfeld klappt und toleriert wird, dann ist man auch in der Lage
effektiv zu arbeiten. Man hat den Mut dazu - und die Motivation durchzuhalten. Auch nach den schon angesprochenen Rückschlägen. Gerade in der Heimerziehung kommen solche negativen Erscheinungen sehr viel vor. Wenn Kinder und Jugendliche im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe oder auch der Fürsorgeerziehung in die Heime eingewiesen werden.-Es beginnt für diese ein neuer Lebensabschnitt-Die Jugendlichen befinden sich in einer neuen Umgebung. Es entsteht bei Ihnen eine gewisse
Erwartungshaltung mit viel Misstrauen und großer Abwehrhaltung verbunden. Bei den meisten Jugendlichen fehlen einfach oft
die Grundvoraussetzungen für ein geordnetes Sozialverhalten. Was ist nun ein geordnetes Sozialverhalten ?
Anpassung an die Normen ?
An die Normen der Gesellschaft ?
Anpassung an die Umwelt ?
Dem neuen Heim anpassen ?
Ich konnte selbst entscheiden -
Wer ist in der Lage, beim Klettern oder Bergsteigen mitzumachen ? Es war nicht einfach, aus den Akten, oder den psychologischen Gutachten, kann man oft wenig
etwas abgewinnen....Man muss den Jugendlichen selbst erleben, ohne Vorurteile - was sehr wichtig für mich war. Es sollte kein Ausleseverfahren sein. Ich musste mich auf mein Gefühl, oder auf vielleicht vorhandene
Menschenkenntnisse verlassen. Genügt das ?
Vertrauen
Genügt das Zutrauen ? Vertrauen ? Einem etwas Zutrauen kann man bald herausfinden. Aber Vertrauen ?
Gerade beim alpinen Bergsteigen ist Vertrauen sehr wichtig. Sogar unerlässlich. Kann man
Vertrauen haben- zu einem Vorbestraften, Kriminellen ? Am Anfang waren viele Fragen offen - oft unbeantwortet - Der Jugendliche muss auch Vertrauen zu seinem Erzieher haben. Vertrauen gegen Vertrauen.Eingewiesene Jugendliche sind abhängig, von dem, was man ihm von seiner Umgebung an
Erwartungen entgegenbringt. Er braucht zu seiner Entfaltung das Vertrauen. Wo dies fehlt, wo Misstrauen herrscht, da kann keine Entwicklung gelingen- sie bleibt zurück und wird in verhängnisvoller Weise abgedrängt. Vor allem bei Kindern in der Entwicklungsphase.
Die Umwelt im Gebirge - beim Wandern - beim Klettern, oder in einer abgelegenen Hütte ist
anders. Nicht wie in der Stadt, in der Langeweile des Alltages. Die Jugendlichen haben mein Vertrauen bekommen. Das Vertrauen bekam ich viel zurück. Auch Zutrauen. Es ist das problemlosere Verhalten- eine Vorform
des Vertrauens.Wenn man einem Jugendlichen etwas zutraut, dann kommt auch das Vertrauen. Dazu gehört auch eine gewisse Pflege- Treue - Diese Treue kann durch eine Freundschaft oder eine Gruppengemeinschaft entstehen.
Zurückfindung
Ich habe auch Schwächeren geholfen- auch ihnen etwas zugetraut, das
Vertrauen erweckt und erhalten. Nur unter diesen Voraussetzungen kann ich auch Anforderungen stellen. So konnte ich immer wieder eine Klettergruppe aufbauen und auch erhalten.
Viele Jugendliche fanden zurück. Zurück zu einem gesunden und ausgeprägten Sozialverhalten. Ich konnte bis heute hinaus viele Freundschaften von Jugendlichen erhalten. Wie bei mir, so bleiben auch bei den Jugendlichen entscheidende Erlebnisse haften, die einen Grundstein legen können auf das spätere Leben. Geschehnisse, die ein Vertrauen brauchen und sogar verlangen ! Zutrauen können - auch bei fremden Jugendlichen. Einem Menschen einfach helfen - begleiten in der entscheidende Entwicklungsphase seines Lebens.
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