Höflichkeit
in der Gletscherspalte
Otto Eidenschink,
überaus fleißiger Berg- und Skiführer, erzählte folgende Geschichte: »Wir
saßen im Glocknerhaus und warteten auf besseres
Wetter. Der gefallene Neuschnee erschien uns für eine Glocknerbesteigung
wenig günstig. Schließlich entschlossen wir uns doch,
einen Versuch zu wagen. Und so überquerten wir, eine größere Gruppe von
Menschen, die Pasterze in Richtung Hofmannsgletscher. Wir alle
vermuteten hier keine Spalten und stapften unangeseilt
im tiefen Schnee. Plötzlich verschwand einer lautlos in einer Spalte
und hinterließ nur ein Loch im Schnee. Sofort wurde das Seil aus
dem Rucksack gerissen und zu dem Mann in der Spalte hinabgelassen. Mit
vereinten Kräften hißten wir den Eingebrochenen hoch. Jetzt erschien in der
dunklen Spaltenöffnung eine Gestalt, aber wir trauten unseren Augen nicht -
ein Fremder tauchte auf. >Ja,
du bist doch koaner von uns. Wann bist denn du reing'fallen? fragte
man den Mann.
"Gestern
um die gleiche Zeit.
1 hab mir denkt, es wird am nächsten Tag
schon oaner vorbeikommen oder gar reinfallen." "Ja,
und der andere, der von uns?" fragten wir aufgeregt. "Der
is no drunten. Er hat mir, weil i so kalte Füaß g'habt hab, an Vortritt
lassen."
Ein
g`standener Bergführer
Ein
Tourist suchte einen Bergführer für den Grasleitenturm. Er wollte
kein Risiko eingehen und erkundigte sich beim Hüttenwirt nach
einem Mann, dem er sich in Ruhe anvertrauen könne, nicht allzu jung,
erfahren, vorsichtig und zuverlässig. Der Wirt meinte: »Da
wär der Pichler-Andrä genau der richtige. Der hat nur beste Referenzen
im Führerbüachl. Natürlich kann a Bergführer a amal Pech
haben. So ist dem Andrä am Stabelerturm a Tourist abg'stürzt, weil 's Seil g'rissen ist, an der Marmolada ist ihm oaner in a Spalten g'flogen,
am Kesselkogel hat oan a Stoa derschlagen und ... »Danke,
das reicht mir«, sagte der Tourist. »Ich verzichte!« »Herr, Sie
tun dem Andrä unrecht«, antwortete der Hüttenwirt. »Er war immer
recht vorsichtig. Selber isch ihm no nie nix passiert.«
Luis Trenker als
Mountain Climber
Wenn mich Journalisten und Reporter interviewten, kamen
manchmal recht eigenartige Berichte in die Presse. Die "LOS Angeles'
Times" hatte mich als " Mountain-Climber" vorgestellt, und eines
Tages kam eine Reporterin vom "Observer" und wollte allerlei wissen.
Ich versuchte, ihr die Arbeit mit meinem sparsamen Englisch zu erleichtern, und
so begann das Frage- und Antwortspiel:
"Sie sind ein Mountain-Climber?"
"Man sagt hier so."
"Was tut denn ein Mountain-Climber?"
"Er climbt auf die Berge."
"Wozu climbt er auf die Berge?"
"Weil es ihn freut."
"Verdient er dabei Geld?"
"Nein, im Gegenteil, es kostet ihn Geld."
Die junge Dame notierte meine Antwort, schüttelte den
Kopf, schaute mich mitleidig lächelnd an und fragte weiter: "Gibt es viele
Menschen, die das tun?"
"0 ja, viele- "
"Ist es gefährlich, auf die Mountains zu climben?"
"Je nachdem, manchmal sehr, manchmal weniger."
"Was tut ein Mountain-Climber wenn er am Ziel ist?"
"Dann freut er sich, schaut die Aussicht an und rastet."
"Und was tut er dann?"
"Dann steigt er wieder hinunter ins Tal."
"So? Ist das alles?"
"Ja, alles."
"Hm. Machen das alle Mountain-Climber so?"
"Ja, alle."
"Aber, wozu ist er denn dann hinaufgestiegen?" fragte sie, nachdem sie
auch die letzte Antwort aufgeschrieben hatte. Sie hat sich unter einem
Mountain-Climber gewiß etwas Vernüftiges vorgestellt, und nun war es damit
leider gar nichts.
Euer Luis Trenker
Spaltensturz
Zwei Skiläufer fuhren über den
Karlingergletscher ab. Sie kamen vom Großglockner
und waren in bester Laune, die nur dadurch getrübt
wurde, daß sie angeseilt aufeinander achten mußten. Plötzlich brach der
Vordermann in eine verschneite Spalte ein. Geistesgegenwärtig
drehte der Kamerad die Ski quer, hielt ruckartig an
und umklammerte das Seil mit beiden Händen. Dann versuchte er den
Eispickel tief in den Schnee zu rammen und begann aus Leibeskräften am Seil zu
ziehen, um den Freund hoch zuhissen. Jedoch so
sehr er sich plagte, das Seil dehnte sich nur knisternd, aber der
Eingebrochene blieb am selben Fleck hängen.»Zieh
net so narrisch an!« rief er aus seinem Eisgefängnis.
»Warum net?« fragte der andere verwundert. »Weil's Seil über a
scharfe Eiskante lauft. Ich probier's lieber mit Prusikschlingen«.
Doch der kräftig ziehende Kamerad meinte beruhigend: »Du weißt
ja, daß mich für dich nix reut.
Wenn's Seil reißt, häng ich mich a net auf
– denn ich hab ja no a neues
daheim!«
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